Zur Kritik an der mRNA-Impfung gegen COVID-19

Der Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidungen“ hat sich zu den geplanten Impfungen gegen das SARS-CoV2 Virus in einem Positionspapier geäußert. Ich möchte dazu hier eine Kurzanalyse anbieten. Die Stellungnahme des eingetragenen Vereins findet sich hier. Eine ausführliche analysierende Besprechung des Buchs von Martin Hirte, Vorsitzender des Vereins, findet man hier

Impfstoff mRNA gegen SARS-CoV2

Bei dem Impfstoff handelt es sich um mRNA mit einer „Bauanleitung“ für das Spike-Protein des Virus. mRNA ist ein besonderer Stoff: Er wird als Vorlage für die Protein-Synthese genutzt. Es ist ein Ablese-Kopie der DNA, die im Zellkern sitzt und die Erbinformationen enthält. mRNA ist sozusagen das „Negativ“. Sie selbst besitzt keine Eigenschaften, die die Genetik der Zelle und des Ziel-Organismus verändern können. Das Corona-Virus selbst ist eigentlich das gleiche: RNA in einer Lipidhülle. Hier liegt aber der Bauplan für ganze, vermehrungsfähige Viren vor. Es ist nicht ganz so schwierig, sich vorzustellen, was nun gefährlicher ist.

Prof. Uğur Şahin forscht bereits seit ca. 10 Jahren, also seit ca. 2010, an dieser sogenannten „Plattform“. Grundidee war es, körpereigene Abwehrzellen fit zu machen für die Bekämpfung von Tumoren, und zwar Patienten-spezifisch. Es besteht seit Anbeginn einer intensive Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut, um die Zulassungsprozesse voranzutreiben: Die Präparate wären ja sehr individuell hergestellt. Während eines jahrelangen Zulassungsverfahrens würden viele Patienten versterben. Es ging deshalb darum, die „Plattform“ zuzulassen, so dass eine individuelle Bestückung mit RNA möglich wäre.

Zur Historie kann man hier nachlesen: The Promise of mRNA Vaccines 

Viele Arbeitsgruppen beschäftigen sich seit vielen Jahren mit RNA-Vakzinen gegen Tumoren: Tumor vaccination using messenger RNA: prospects of a future therapy (Curr Opin Immunol. 2011 Jun;23(3):399-406) oder mRNA vaccines — a new era in vaccinology (Nature Reviews Drug Discovery volume 17, pages261–279(2018)). Studien zu Melanom-Behandlung sowie Lungen- und Blasenkrebs wurden sogar bereits abgeschlossen: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02897765, https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01684241.

Es konnten deutliche Erfolge erzielt werden: z.B. An RNA vaccine drives immunity in checkpoint-inhibitor-treated melanoma (Nature volume 585, pages107–112(2020)). 

Es laufen klinische Studien dazu, z.B. bei der Behandlung des malignen Melanoms: An Efficacy Study of Adjuvant Treatment With the Personalized Cancer Vaccine mRNA-4157 and Pembrolizumab in Patients With High-Risk Melanoma

Ein Teilnehmer an einer dieser Studien, der bereits diverse Metastasen durch das Melanom hatte, hat einen äußerst beeindruckenden Bericht in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

Analyse des Positionspapiers von „Ärzte für individuelle Impfentscheidungen e.V.“

Schauen wir uns jetzt mal an, was der Verein in seiner Stellungnahme zu sagen hat. Die entsprechenden Passagen sind zur besseren Unterscheidbarkeit farblich mit blauem Rand links hervorgehoben. Ich wollte keine Text-Zitate verwenden, da ich nicht möchte, dass bestimmte Aussagen per Such-Algorithmus mit meiner Seite in Verbindung gebracht werden.

Bereits die Aussage über „neuartige Technologien“ ist zumindest in Bezug auf den mRNA-Impfstoff falsch, so wie oben ausführlich dargelegt. Uğur Şahin, Gründer von Biontech, forscht bereits seit über 10 Jahren an dieser Plattform:
1) The European Regulatory Environment of RNA-Based Vaccines (Methods Mol Biol. 2017;1499:203-222)
2) Personalized RNA mutanome vaccines mobilize poly-specific therapeutic immunity against cancer (Nature 2017 Jul 13;547(7662):222-226)

Wie oben bereits ausgeführt, ist es nicht zutreffend, dass „tief in Steuerungs- und Regulationsvorgänge des menschlichen Körpers […]“ eingegriffen würde: Es wird einfach RNA abgelesen, Protein produziert. RNA wird abgebaut, das Protein wird abgebaut. Zwischendrin werden T-Zellen aktiviert und zur Immunabwehr fit gemacht, indem sie die präsentierten Informationen aufnehmen. Die Autoren des Papiers haben einfach nicht verstanden, was dort passiert. Oder sie nutzen es absichtlich verfälschend.

Wie gesagt, besteht seit Beginn der Forschung zu den mRNA-Impfungen eine intensive Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut. In den bisher durchgeführten jahrelangen Studien gibt es keine Anzeichen für schwerwiegende „Adverse Events„, also bedrohliche Nebenwirkungen. Dabei wurden wie immer auch zunächst Tiermodelle verwendet: Exploiting the mutanome for tumor vaccination (Cancer Res. 2012 Mar 1;72(5):1081-91)

Eine längerfristige Beobachtsphase zur Identifizierung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW), wie im Positionspapier gefordert, ist eine Selbstverständlichkeit. Wissenschaftler aufzufordern, auch gefälligst zu forschen, ist zwar möglicherweise nett zu lesen, ist aber als Framing zu werten. Dieses Framing besagt: „Die Wissenschaft kümmert sich nicht um die Sicherheit“. Die Meinung über Wissenschaft, die daraus spricht, mag für sich selbst stehen. Ich finde, es stellt vor allem die Autoren des Positionspapiers in ein schlechtes Licht.

Es gibt mittlerweile eine Veröffentlichung zu den Impfstudien (Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine, N Engl J Med. 2020 Dec 10). Darin steht auch explizit, dass das intensiv nachbeforscht wird (siehe Screenshot). Welcher Wissenschaftler würde in dieser Situation darauf verzichten?!

Screenshot aus der Studie zur Sicherheit und Effizienz des Bionic-Impfstoffs

Hier kann man es kurz machen. Natürlich entsprechen die bisherigen Studien den Sicherheits-Standards in jeder denkbaren wissenschaftlichen Hinsicht. Erstens geht z.B. aus diesem Artikel hervor, dass sehr wohl Sicherheit und Immunogenitätsdaten von sehr alten Probanden untersucht wurden: Safety and Immunogenicity of Two RNA-Based Covid-19 Vaccine Candidates (N Engl J Med. 2020 Oct 14).

Zweitens kann man natürlich die Kürze der Studienphase kritisieren. Dies wird hier als „Teleskopierung“ bezeichnet, um den Eindruck zu erwecken, dass geschlampt wurde. In Wirklichkeit haben -bedingt durch die Pandemie- erstmals viele Arbeitsgruppen weltweit zusammen gearbeitet und dabei eine Rekord-Zahl von Probanden untersucht, nämlich über 40.000. Diese Datenbasis sucht zumindest für Zulassungsstudien von Impfungen ihresgleichen.

Was unbefriedigend ist, das ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass die Daten lange nur den Regulationsbehörden vorlagen, was aber nunmehr nicht mehr der Fall ist. Und wir sind in Deutschland eben wegen der dort angelegten Sorgfalt zeitlich hinterher: Man kann sich darauf verlassen, dass die unabhängigen Wissenschaftler des Robert-Koch- und des Paul-Ehrlich-Instituts nachvollziehbare und überprüfbare Entscheidungen treffen. Dafür werden sie übrigens bezahlt.

Man kann das nur noch mal wiederholen: Man muss einen Rennfahrer nicht dazu auffordern, schnell zu fahren. Man muss eine Ärztin nicht auffordern, Patienten zu behandeln. Man muss Wissenschaftler:innen nicht dazu auffordern, zu forschen.

Phase IV-Studien werden selbstverständlich bei der Einführung eines solchen Impfstoffs durchgeführt. Was denn sonst?

Die starke Immunogenität des mRNA-Impfstoffs gegen SARS-CoV2 wurde bereits in der Phase-1-Impfsoff-Studie gezeigt: An mRNA Vaccine against SARS-CoV-2 — Preliminary Report (N Engl J Med. 2020 Nov 12). Dabei wurden mittels ELISA Antikörper nachgewiesen.

Zum Nachweis, dass diese Antikörper auch eine aktive Virus-Bekämpfung vermitteln, wurden „Pseudovirus Neutralization Assays“ durchgeführt. Im Grunde wird einfach geschaut, ob ein Virus noch in der Lage ist, Zellen in einem Serum zu zerstören, welches während des Versuchsaufbaus zunehmende Antikörper-Mengen enthält. Hier kam hinzu, dass die SARS-CoV2-Viren nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen behandelt werden können. Man hat deshalb Oberflächen-Proteine dieses Virus auf andere Viren übertragen (Pseudovirus). Es ist extrem aufwendig, dann die Aussagekraft gegen SARS-Cov2 zu demonstrieren, aber es geht. Auch das ging nur mittels internationaler hoch-motivierter Kooperation.

Auch die Stimulation von T-Zellen ist bereits mit dieser ersten Untersuchung nachgewiesen. Zelluläre Immunität ist weit langlebiger als Immunität durch Antikörper. Das ist deswegen wichtig, weil immer wieder geäußert wird, dass die Antikörper-Spiegel nach COVID-Infekt (oder nach der Impfung) abfallen. Das ist aber ein normaler Vorgang: Die Antikörper gibt es nur eine Weile im Blut. Über das entstehende Immun-Gedächtnis geben sie keine Auskunft.

Dass Impfstoffe bei Älteren wegen des schwächeren Immunsystems oft weniger stark wirken als bei jüngeren Menschen, ist eine Binsenweisheit. Sie spricht mitnichten dafür, ältere Menschen nicht zu impfen. Warum die „Ärzte für individuelle Impfentscheidungen“ das einfach so stehen lassen, erschließt sich mir nicht.

Hier geht es ein wenig ans Eingemachte. Wieder wird Framing verwendet: Die Studien genügen also nicht den „Regeln der evidenzbasierten Medizin“. Zur Erinnerung: Noch nie wurden so viele Probanden für eine Impfstoff-Untersuchung in eine Studie eingeschlossen.

Was dann folgt, ist schon wirklich lustig: Keine einzige Zulassungsstudie kann zeigen, dass schwere Verläufe vermieden werden oder Langzeit-Immunität entsteht. In letzterem Begriff steht das ja schon drin. Zulassungsstudien haben zu zeigen, dass Immunogenität entsteht und schwere Nebenwirkungen nicht auftreten. Je seltener die Krankheit, desto mehr Leute müssen geimpft werden, um zu zeigen, dass das auch langfristig funktioniert. Die Forderung nun ausgerechnet an diesen Impfstoff zu stellen, ist absolut absurd.

Den hoch publizierten Studien mit zehntausenden Teilnehmern fehlende wissenschaftliche Sorgfalt vorzuwerfen, ist schon sehr wohlfeil. Zumal der Ärzte-Verein an keiner dieser Studien beteiligt zu sein scheint und mit keinem der Autoren Korrespondenz geführt hat. Dazu möchte ich Christian Drosten zitieren (andere Thematik, aber die Aussage passt auch hier):

Ob wir eine Herden-Immunität mit der Impfung erreichen können, ist in der Tat eine interessante Frage. Und wir benötigen selbstverständlich auch andere Maßnahmen. Dazu weiter unten mehr.

Ich würde zusammenfassen, dass die bisherigen Studien eine hohe Sicherheit und eine hohe Immunogenität der Impfung zeigen. Der Verein konnte durch seine Behauptungen die dazu vorliegende wissenschaftliche Evidenz nicht ausräumen.

Hier wird tatsächlich ein valider Punkt genannt. Trotz der sehr hohen Zahl der Studien-Teilnehmer lässt sich natürlich im Rahmen der Studie kaum untersuchen, ob nicht doch eine gewisse Ansteckung mit dem Virus möglich ist, so dass man für 1-2 Tage Viren ausscheidet und es so an andere Personen weitergibt. Somit lässt sich dieses Szenario nicht ausschließen. Das erste Impfziel der STIKO wird aber sein, dass Risikogruppen geimpft werden und nicht mehr schwer erkranken. Es wird weitere Maßnahmen brauchen, um das Virus einzudämmen oder bei Öffnung des öffentlichen Lebens die Erkrankung jüngerer Menschen (eine mathematische Konsequenz!) nicht so schwer werden zu lassen, dass diese auf die Intensivstation oder sogar an die ECMO müssen. Zu nennen wäre ein antivirales Medikament.

Wieder einmal etwas Framing, um die Impfung zu diskreditieren. Der im Frühjahr diskutierte Immunitätsausweis ist aus verschiedenen Gründen vom Tisch und wird auch gar nicht mehr diskutiert. Man fragt sich, was diese Aussage hier im Positionspapier soll? Ich halte das für manipulativ. Natürlich bleibt beim Leser hier das Wort „Immunitätsausweis“ hängen. Genau darauf setzt man hier. Es handelt sich um eine typische Vorgehensweise von Wissenschaftsleugnern.

 

Hier begibt sich der Verein auf ziemlich dünnes Eis. Natürlich ist die Zahl der intensivpflichtigen Patienten auf den ersten Blick relativ klein. Bereits die niedrigsten Schätzungen gehen aber von Todeszahlen aus, die doppelt so hoch sind wie bei einer Grippe-Epidemie. Die auf Deutschland und seine Demographie gerechneten Daten gehen von einer 10-20fachen Todesrate aus. Es resultiert bei hoher Durchseuchungsrate zwangsläufig eine Überforderung der Intensivmedizin. Diese betrifft dann nicht nur die COVID-Patienten, sondern auch alle anderen Patienten mit schweren Krankheitsbildern.

Der Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidungen“ ignoriert hier den Kern der Corona-Pandemie. Ich verzichte darauf, dies hier ausführlich darzulegen oder Quellen zu zitieren. Die Kollegen könnten einmal als Einstieg die Folgen des Coronavirus-Update nachhören oder -lesen. Das wäre ein Anfang.

Es ist mehrfach deutlich gemacht worden, dass es eine Impfpflicht nicht geben wird. Wieder handelt es sich um Framing. Hier soll Nicht-Profis einfach Angst vor der Impfung gemacht werden. Für einen Verein, der sich um „individuelle Impf-Entscheidungen“ und nicht individuelle Impf-Verhinderung bemüht, wäre es angebracht gewesen, diese „individuelle Entscheidung“ auch durch das Zitieren der vorliegenden medizinischen Evidenz zu unterstützen.

Zusammenfassung

Für einen „Verein für individuelle Impfentscheidungen“ wäre es angebracht gewesen, die gesamten Fakten auf den Tisch zu legen. Stattdessen hat man sich entschieden, über typisches Framing und typische Mechanismen von Wissenschaftsleugnern und Impfgegnern in subtiler Art Stimmungsmache gegen die Impfung zu betreiben. 

Es wird nach meinem Empfinden versucht, mit Angst vor Veränderungen von Genen (Eingriff „in Steuerungs- und Regulationsvorgänge des menschlichen Körpers“), Immunitätsausweisen und Impfpflicht die Bedenken gegen die Impfung in der Bevölkerung gezielt zu verstärken. Es passt dazu, dass man versucht, den Anschein zu erwecken, dass für wissenschaftlichen Genauigkeit nicht Sorge getragen wurde – bei der bei weitem umfangreichsten und internationalsten Impfstudie aller Zeiten unter Beteiligung weltweiter Wissenschaftler.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass hinter den Aussagen wenig Substanz steckt.

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