Stellungnahme zu meinem Tweet vom 20.03.2021

Am 20.03.2021 habe ich in einem emotionalen Ausbruch als zitierten Tweet eines intensivmedizinisch tätigen Kollegen folgenden Tweet abgesetzt.

Obwohl im Thread erklärt ist, wie es gemeint ist, wurde dieser für mich eher untypische Ausdruck nach der Lesart „pars pro toto“ als charakterisierend für meinen Argumentations-Stil verwertet. Natürlich v.a. von Boulevard-nahen Personen. Im folgenden meine Stellungnahme, die ich an den Vorstand der Gesellschaft für Virologie gesendet habe, da diese mehrfach in Mentions einbezogen wurde:

Ich nehme wie folgt Stellung zu meinem Tweet vom 20. März 2021. Dieser ist in Anlehnung an Oliver Kalkofes Silvester-Programm „Fresse, 2020!“ formuliert. 

Ich zitierte einen Kollegen in der Intensivmedizin, der die steigenden Inzidenzen von SARS-CoV2 in Beziehung zu nun wieder steigenden Intensivbehandlungs-Zahlen setzte. Aus meiner Sicht haben die Genannten wiederholt und konsequent in der Öffentlichkeit zu einer Verwässerung der Wahrnehmung der Pandemie sowie infolge dessen zu einer inadäquaten Handhabung von Eindämmungs-Maßnahmen durch die Politik beigetragen. Von der damaligen Leugnung einer zweiten Welle, dem Herunterspielen von Todeszahlen oder den ewigen und gleichsam völlig unzutreffenden Vergleichen mit der Virusgrippe möchte ich gar nicht reden. 

Ich bin seit über einem Jahr als Arzt und als Aufklärer mit dieser Pandemie stark beschäftigt. Auf meinem Twitter-Account habe ich nachweisbar sehr sachlich, zielgerichtet, zuweilen humorvoll-sarkastisch, und so aktuell wie mir möglich andere Leute aufgeklärt bzw. als Multiplikator für wissenschaftliche Informationen gedient. Das werde ich auch weiter tun. Als Aufklärer und Vorbild in meiner kleinen Stadt habe ich natürlich auch mein eigenes Leben sehr stark eingeschränkt, sowie auch das meiner Familie. Gleichzeitig behandele ich Patient:innen verschiedener Krankheitsbilder, auch mit COVID, kommuniziere viel mit Kolleg:innen aus meinem ehemaligen Fachgebiet (der Anästhesie und Intensivmedizin) und bekomme sehr viel mit, wie schlecht es dort steht und wie schwierig diese Pandemie sich in diesen Bereichen auswirkt.

Erst im Januar hatten wir einen Ausbruch eines eigentlich mit allen Schutzmaßnahmen versehenen Pfegeheims zu bewältigen. Dort starben über 20 Menschen, die meisten innerhalb einer Woche. Wir Hausärzte hatten quasi eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung eingerichtet, um die Überforderung unserer kleinen Klinik vor Ort zu vermeiden. Dieser Ausbruch konterkarierte in starker Form die z.B. durch Herrn Streeck oder Herrn Chanasit sowie auch die DEGAM vertretene Ansicht, man müsse zur Bewältigung der Pandemie nur die Pflegeheime schützen, und alles wäre gut. Nicht zu sprechen von den vielen jüngeren Intensivpatienten zum Zeitpunkt der zweiten Welle, die mitnichten im Pflegeheim-Alter waren. Solche selbst erlebten und erzählten Dinge bringen mich persönlich schon sehr an meine psychische Belastungsgrenze.

Während nun die dritte Infektionswelle droht bzw. begonnen hat, sehe ich, dass nach wie vor die von mir im Tweet Genannten entweder in den Medien auftauchen oder in Hass-Postings bzw. an meine Praxis geklebten Zetteln und Briefen als Quelle der einzig wahren Information genannt werden. Es ist Ausdruck eines emotionalen Ausbruchs, diesen Tweet verfasst zu haben. 

Es ist auch so, dass die Auftritte dieser Herren insinuieren, dass sie eine „andere“ Wissenschafts-Auffassung vertreten. Damit stellen sie die wissenschaftlichen Aussagen z.B. von Herrn Drosten, Frau Ciesek, Frau Brinkmann, Herrn Binder oder Frau Eckerle sowie vieler, vieler Anderer in ein Licht, als wenn deren Schlussfolgerungen nicht durch wissenschaftliche Bewertungen und Abwägungen entstanden sein könnten. Als wenn „die Wissenschaft“ vorgefaßte Meinungen vertreten würde, und nur sie würden andere Sichtweisen ermöglichen.  Glauben Sie mir: Das erzählen die sogenannten Querdenker, die die Aussagen der Herren immer wieder zur Legitimierung ihrer Ansichten und ihres Tuns nutzen – unabhängig davon, ob das der Intention entsprach.

Ich finde es in höchstem Maße befremdlich, dass ausgerechnet diese Herren sich nun über die harte Ansprache beschweren. Sie haben sich in der Vergangenheit nicht gescheut, durch eigene Aussagen, durch Retweets oder Favs/Likes ihre Kolleg:innen zu verletzen, sie der Häme auszusetzen oder sogar gutzuheißen, dass diese dem Boulevard-Mob zur Beschimpfung ausgeliefert wurden. Ich erinnere an die Hetze der BILD-Zeitung gegenüber Melanie Brinkmann oder Viola Priesemann. Oder auch an die Kampagne des Springer-Konzerns gegen den Kollegen Drosten im vergangenen Frühjahr. Zuletzt ist mir ein „Like“ des Herrn Schmidt-Chanasit in Erinnerung bezüglich eines Tweets von Herrn Fleischhauer von der WELT, in dem (auf subtile Art) die Kollegin Ciesek dem bekannten rechten Mob dieses Journalisten ausgesetzt wird. In den daraufhin auf sie einprasselnden Beleidigungen war u.a. davon die Rede, früher hätte man solche Leute „auf dem Markt verbrannt“. 

Ausgerechnet jene Herren also, die sich nicht scheuen, die Macht der spätestens durch ihre Rezipienten rechtslastigen Boulevard-Medien gegen ihre Kolleg:innen einzusetzen. Die ständig gegen diese agitieren und sich -mit Verlaub- benehmen wie die Axt im Walde: Ausgerechnet jene beschweren sich nun über den emotionalen Ausbruch eines einzelnen Arztes?

Ich würde das gern umdrehen und fragen, wie man es eigentlich tolerieren kann, dass über viele Monate hoch-angesehene, produktive Wissenschaftler:innen von diesen Kollegen in einer respektlosen Art und Weise behandelt werden und ihre Äußerungen unter Nutzung der Boulevard-Presse schlecht geredet werden. Da fehlt mir einfach der Anstand, den ich von wissenschaftlich Tätigen erwarte. Und ich finde es unerträglich, dass diese Wissenschaftler:innen dies aus Anstand und zur Vermeidung einer weiteren(!) Beschädigung der Wissenschaft an sich einfach hinnehmen müssen. Genau genommen, macht das den Großteil des Frustes aus, der aus meinem Tweet sprechen soll.

Beitragsbild: https://skepticalscience.com/translationblog.php?n=4706&l=6